Die Digitalisierung ist eine fantastische Erleichterung - modernes Brauwesen

Die Begriffe Brauwesen und Technologie sind seit jeher nicht voneinander zu trennen
Wasser, Hopfen, Getreidemalz und Hefe: Diese vier Zutaten erlaubt das deutsche Reinheitsgebot zur Bier-Herstellung. Vier Zutaten, deren Zusammensetzung unendlich viele Möglichkeiten und Geschmacksrichtungen liefert. Dieses Handwerk, das Menschen seit über Zehntausend Jahren betreiben, ist längst auch Wissenschaft. Mikrobiologische Qualitätskontrolle unterstützt immer feiner abgestimmt die Prozesse der Bierherstellung. Die Digitalisierung ist dabei ein logischer Schritt. Dr. Martin Zarnkow ist der Leiter Forschung und Entwicklung im Forschungszentrum Weihenstephan für Brau- und Lebensmittelqualität der Technischen Universität München. Wir treffen ihn am Tag des Internationalen Bieres zu einem Gespräch über die Digitalisierung des Brau-Labors.

Künstliche Intelligenz zählt Hefezellen, Programme suchen automatisiert nach Kontaminationen in Bierproben. Ist diese Aussicht für Sie Fluch oder Segen?

Ich lese hier gerade zwei Bücher von 1838 und 1794. Ich bin ein Experte für dieses Thema! Aber jetzt mal im Ernst: An der Digitalisierung des Brauwesens kommt selbstverständlich niemand vorbei. Das ist auch nicht kritisch zu sehen, sondern eine fantastische Erleichterung. Denn die Geschwindigkeit und die Möglichkeit der Dokumentation sind unschlagbar. Die mikrobiologische Qualitätskontrolle ist eine große Aufgabe der Brauereien. Es wird irgendwann die Möglichkeit geben, an vielen Stellen über Sensoren Echtzeitwerte abzulesen, die es den Brauern ermöglichen, sofort Entscheidungen zu treffen. Aber das wird das Labor noch lange nicht ersetzen.
"An der Digitalisierung des Brauwesens kommt selbstverständlich niemand vorbei. Das ist auch nicht kritisch zu sehen, sondern eine fantastische Erleichterung."
Dr. Martin Zarnkow
Leiter Forschung und Entwicklung - Forschungszentrum Weihenstephan TUM

Wieviel Mensch wird es dann noch brauchen?

Als ich mein Handwerk gelernt habe, hieß es noch, dass sich im Bier bis zu 800 Stoffe tummeln. Heute sind es 80.000. Wir finden immer mehr heraus und gleichzeitig potenzieren sich die Fragestellungen. Denn wir können diese Stoffe zwar aufzählen, aber was sie machen, das wissen wir nicht. Nicht umsonst gibt es ganze Lehrstühle zu diesem Thema. Nicht umsonst ist man am Ende des Studiums diplomierter Braumeister, jemand der Theorie und Praxis betrachten muss. Die KI wird uns helfen, diese Zusammenhänge zu verstehen, aber der Mensch trifft die Entscheidungen. Und eine Sache wird nie ersetzt werden: Unsere Sinne, speziell Geruch und Geschmack! Denn für uns Menschen bzw. Konsumenten, wird dieses Produkt gebraut.
Hefe Mikroskopie
Mikroskopisches Bild einer Hefeprobe
Perlit
Perlit

Je mehr Künstliche Intelligenz im Spiel ist, je mehr Algorithmen Proben durchforsten, desto mehr Daten entstehen dabei.

Natürlich, die großen Brauereien haben Daten ohne Ende, keiner kann mit so einer Masse umgehen, aber dafür gibt es auch Labore wie das unsere, die das nochmal ganz anders auffangen können. Wenn ich alles dokumentiere, wenn ich die Möglichkeiten der Probennahme erweitere, indem ich größere Mengen überprüfen kann, dann habe ich ganz andere Möglichkeiten der Steuerung. Bei mir stehen manchmal Leute mit einem Problem und die letzte Vergleichsprobe ist von 2017. Was soll ich da machen?

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Im Grunde müsste dieses Monitoring schon viel früher einsetzen. Die Grundprodukte sind ebenfalls von natürlichen Bedingungen abhängig, die sich immer verändern.

Das wäre ein Traum, wenn man die Daten bereits auf dem Feld generieren könnte. Wir könnten viel individueller arbeiten, könnten weg von der Monokultur kommen und trotzdem ökonomischer wirtschaften, wenn wir schon vorher wüssten, wie das Produkt sich verhält oder ob ich es woanders herbekommen muss. Das ist auch der Unterschied zum Weinmachen. Wein machst du einmal im Jahr, Bier machst du jeden Tag. Und es soll immer reproduzierbar sein. Wie soll das gehen ohne Daten? Wie soll man wissen, welche Parameter entscheidend sein, wenn sie nicht dokumentiert sind? Es führt kein Weg daran vorbei, Proben zu nehmen und diese zu dokumentieren, einen sauberen Plan zu haben und den auch stringent einzuhalten. Erst dann kann ich sauber korrelieren, kann fein aufeinander abstimmen. 

Sie beschäftigen sich auch mit der Geschichte der Bierherstellung und waren schon bei Ausgrabungen in Syrien dabei. In welchen historischen Kontext setzen Sie die Digitalisierung des Labors?

Alle, die sich mit der Herstellung dieses Getränks beschäftigen, haben experimentiert, selektiert und beobachtet. Wer das zu seinem Beruf gemacht hat, der musste sich professionalisieren und hat sein Wissen dann weitergegeben. Tradition und Innovation haben sich schon immer gegenseitig angeschoben. Der menschliche Körper kann viele Dinge detektieren, Wärme, Kälte, Geschmack. Aber das hat auch Grenzen. In der Renaissance ging es dann los mit technischen Geräten zur Unterstützung: Thermometer, Saccharimeter, Barometer, dann das Mikroskop. Das darf man nicht vergessen, dass die Brauereien es waren, die die Wissenschaft vorangetrieben haben. Louis Pasteur hat zunächst an der Bierhefe gearbeitet; das erste Genom, das entziffert wurde, war das der Bierhefe. Die Bierlandschaft ist so traditionalistisch wie sie innovativ ist, die Übertragbarkeit auf andere Disziplinen war immer gegeben, und ich bin überzeugt, dass es auch dabei bleibt.

Kieselgur Mikroskopie
Kieselgur

Heute ist der Internationale Tag des Bieres. Welche Flasche machen Sie sich heute auf?

Das beste Bier der Welt ist dein eigenes Bier. Alle regionalen Biere erzählen geschmacklich etwas über die Gegend, aus der sie kommen. Und nicht alle Biere passen überall hin. Ein Oktoberfestbier am Strand von Brasilien kann völlig daneben liegen. Es gibt Biere aus der ganzen Welt, an die man dankenswerterweise auch sehr gut rankommt. Biere von den britischen Inseln, aus Belgien, Frankreich, Italien, Dänemark und jetzt vergesse ich locker noch 50 andere. Es gibt im Netz Aromatabellen, da sieht man die Fruchtrichtung, den Stärkegehalt, die Würze. Da kann man sich doch gut was aussuchen. Ein Tipp habe ich aber: Macht die Etiketten runter von den Flaschen und probiert dann mal! Wir lassen uns von dem Etikett so schnell beeinflussen. Aber das lenkt von diesem hervorragenden Lebens- und Genussmittel ab.